Berlin – 8./9. Mai 2022

Zeitenwende
Russlands Krieg
gegen die Ukraine

In Berlin soll verantwortungsvolles Erinnern an das Kriegsende 1945 den Umgang mit dem 8./9. Mai prägen

Ein breites Bündnis ruft zur Ausrichtung von Veranstaltungen und Versammlungen am und um den 8./9. Mai 2022 an wichtigen Erinnerungsorten in Berlin auf.

Wir, die Beteiligten des Bündnisses „Gedenken gegen den Krieg“, laden Organisationen, Vereine, Stiftungen, Gruppen, Körperschaften, Ensembles, Künstler:innen und Journalist:innen ein, sich aktiv zu beteiligen.

Das Bündnis bekennt sich zu den folgenden Leitlinien für das Gedenken an und den Umgang mit dem 08./09. Mai.

  • Der am 08./09. Mai 1945 in Europa mit der Kapitulation Deutschlands beendete Zweite Weltkrieg begann am 1. September 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen. Er war ein Verbrechen NS-Deutschlands gegen die Menschlichkeit, das mehr als 70 Millionen Menschenleben forderte. Er wurde im Osten als rassistischer Vernichtungskrieg geführt, dem mehr als 5 Millionen polnische und etwa 27 Millionen sowjetische Bürgerinnen und Bürger aller Nationalitäten zum Opfer fielen, darunter Millionen Jüdinnen und Juden und hunderttausende Angehörige verschiedener Roma-Gruppen, die von den Deutschen aus rassistischen Motiven systematisch ermordet wurden. 

  • Die Sowjetunion (und heute Russland) spricht vom „Großen vaterländischen Krieg“, 1941 – 1945. Damit wird verdrängt, dass sie auch von 1939 bis 1941, in der 1. Kriegsphase, als Verbündete Hitlerdeutschlands am Krieg beteiligt war. Die Okkupation und Aufteilung Polens zwischen Deutschland und der Sowjetunion war der erste Schritt, auf den eine Vielzahl von Verbrechen beider totalitärer Diktaturen in Europa folgte. Auch die sowjetischen Verbrechen wie den Mord an den polnischen Offizieren (Katyn) mit in den Blick zu nehmen, relativiert die deutschen Verbrechen keineswegs – es macht eher eine deutsche Mitverantwortung deutlich. Der Hitler-Stalin-Pakt vom 23.8.1939 schuf die Grundlage für den deutschen Überfall und die Besatzung Polens sowie den sowjetischen Einmarsch in Ostpolen.

  • Ob das Kriegsende in Europa als „Tag der Kapitulation“, „Tag der Befreiung“ oder „Tag des Sieges“ bezeichnet wird – das nationalsozialistische Deutschland wurde 1945 zum Glück von den Alliierten, d.h. von der Sowjetunion, den USA, Großbritannien und Frankreich, mit Unterstützung Polens und weiterer Staaten besiegt und somit der Zweite Weltkrieg in Europa beendet.

  • Die siegreiche sowjetische (Rote) Armee bestand aus Soldaten und Soldatinnen, die verschiedenen Ethnien angehörten und aus allen Teilrepubliken der UdSSR stammten – dies sollte bei der heutigen Erinnerung besondere Berücksichtigung finden. Den Sieg der Sowjetunion gleichzusetzen mit einem „Sieg Russlands“ ist nicht korrekt.

  • Deutschland hat eine besondere historische Verantwortung unter anderem insbesondere auch gegenüber der Ukraine und Belarus. Russland wurde im Zweiten Weltkrieg teilweise von NS-Deutschland und seinen Verbündeten besetzt, die Ukraine, Belarus und andere Republiken im Westen der UdSSR komplett. Hier konnten die Deutschen ihre Vernichtungsfantasien ausleben, und nicht zuletzt waren die Ukraine und Belarus zentrale Schauplätze des Holocaust und des Versuchs der Vernichtung sogenannter „slawischer Untermenschen“. Dies ist in der deutschen Öffentlichkeit bisher nie ausreichend aufgearbeitet worden, stattdessen werden die deutschen Verbrechen in der Ukraine, Belarus und anderen früheren Sowjetrepubliken sehr oft unter einer „Verantwortung gegenüber Russland“ subsumiert. Deshalb begrüßen wir den Beschluss des Deutschen Bundestages vom 9. Oktober 2020, ein Dokumentationszentrum zum Vernichtungskrieg im Osten und zur deutschen Besatzung in Europa zu errichten.

  • Eine zeitgemäße, reflektierte Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg muss mit der Aufarbeitung der Diktaturen jener Zeit – d.h. außer der nazistischen in Deutschland auch der sowjetischen unter Stalin und weiteren in den Kriegsländern – einhergehen. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit Diktaturen als Herrschaftssystemen.

  • Die Gründung der Vereinten Nationen und die in der UN-Charta bestimmte internationale Nachkriegsordnung sind Antworten auf die Schrecken des Zweiten Weltkrieges. Mit der Charta von Paris für ein neues Europa 1990 wurde diese als durch gemeinsame Werte bestimmt weiterentwickelt. Mit der Annexion der Krim 2014 und dem Krieg gegen die Ukraine 2022 versucht Russland, diese internationale Rechts- und Friedensordnung zu zerstören. Dem zu widerstehen und mit aller Kraft entgegenzutreten sowie die Ukraine zu unterstützen, ist eine zentrale Aufgabe der internationalen Staatengemeinschaft.

  • Verantwortliches Erinnern an die Kapitulation des faschistischen Deutschland 1945 und den Sieg der Alliierten heißt auch, für Frieden in Europa einzutreten und den heutigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zu verurteilen.

Bündnis „GEDENKEN GEGEN DEN KRIEG“
Berlin, den 27. April 2022

Organisationen

Dekabristen e.V., Demokrati-JA, Deutsch-Belarussische Gesellschaft e.V. (dgb), DRA e.V., EU-Russia Civil Society Forum e.V. (CSF), Memorial Deutschland e.V., Willi-Eichler-Akademie e.V., Solidarus e.V., PANDA platforma e. V., Forum russischsprachiger Europäer e.V., Deutsch-Russischer Menschenrechte-Dialog e.V., Deutsches Polen Institut, Darmstadt, Europäischer Austausch gGmbH, Razam e.V., Bundesverband russischsprachiger Eltern e.V.

Privatpersonen

Prof. Dr. Aleida Assmann, Kulturwissenschaftlerin, Markus Meckel, Außenminister und MdB a.D., Peter Liesegang, Organisations-  und Osteuropa-Interessierter, Prof. Dr. Dieter Bingen, Politikwissenschaftler und Historiker, Ekkehard Maaß, Deutsch-Kaukasische Gesellschaft e.V., Berlin, Elena Ilina, Aktivistin, Igor Eidman, Soziologe, Kerstin Nickig, freelance filmmaker, Basil Kerski, Direktor, Europäisches Solidarność-Zentrum in Danzig, Alexey Kozlov, Menschenrechtler, Svetlana Müller, 1. Vereinsvorsitzende der PANDA platforma e. V., Dr. Richard Herzinger, Publizist, Prof. Dr. Katja Makhotina, Osteuropäische Geschichte, Universität Bonn , Gisela Kallenbach, ehem. MdEP, Leipzig, Stefan Stader, Leiter des Berliner Büros der Willi-Eichler-Akademie, Stefan Hanisch, Jurist und Consultant, Regionalwissenschaftler Osteuropa und Zentralasien, Verena Klinghammer